Die WirtschaftsWoche veröffentlichte Anfang November in der Ausgabe 47 einen lesenswerten Gastbeitrag des Präsidenten des Art Directors Club Deutschland, Heinrich Paravicini. Sein Thema: Die große, aber unterschätzte Bedeutung der deutschen Kreativwirtschaft. Er hat mir als Inhaber einer Agentur mit seiner Analyse aus dem Herzen gesprochen, so dass ich ein paar Punkte zusammenfassen will.
Klassische Industriezweige wie Fahrzeug- und Maschinenbau oder die Finanzbranche und die Energieversorger werden seiner Meinung nach langfristig an Bedeutung abnehmen bzw. überleben teils nur mit Subventionen. Gleichzeitig wächst der Wirtschaftszweig der Kreativen seit Jahren kontinuierlich − unbeachtet von Medien und Öffentlichkeit und ohne Subventionen oder Lobby. Diese Kreativbranche gehört mit über 160 Milliarden Euro Umsatz, über 1,6 Millionen Erwerbstätigen und über 250.000 Unternehmen sogar zu den schwergewichtigsten Wirtschaftsbranchen in Deutschland überhaupt. Und Paravicini fragt zu Recht, warum sich diese wirtschaftliche Bedeutung nicht in der öffentlichen, medialen und vor allem politischen Wahrnehmung widerspiegelt?
Seiner Meinung nach liegt das vor allem an der Diversität und Kleinteiligkeit der Kreativbranche. Paravicini zählt viele kleinere und oft erklärungsbedürftige Branchen auf, die weder große Lobbyverbände noch Netzwerke in die Politik haben – Software- und Games-Industrie, Presse- und Werbemarkt, Designwirtschaft, Architektur, Film und Rundfunk, Musik- und Buchmarkt, bildende und darstellende Künste. All diesen ist aber eines gemein: Sie sind insgesamt nicht nur eine wirtschaftliche Größe, sie bilden einen Markt der Entrepreneure, der Innovationen und der Digitalisierung, in seinen Worten den Mittelstand 2.0.
Laut Paravicini böte die deutsche Kreativindustrie damit die Chance, eine wirtschaftliche Antwort auf China und die USA zu geben und einen Weg der europäischen Innovationskultur zu gehen. Er glaubt: „Sie kann es, weil die Branchen der Kreativwirtschaft über den Tellerrand schauen, multikulturell, international und meinungsdivers sind und dem innovativen Neuen immer den Vorrang vor dem Status quo geben.“
Ich denke, dass sich Viele, die in dieser kreativen Branche seit Jahren als Unternehmer oder als Angestellte aktiv sind, nicht im Klaren waren, wie groß und wirtschaftlich bedeutend unsere Branchen zusammengenommen wirklich sind. Und dass wir seit Jahren ohne große politische oder öffentliche Unterstützung wachsen, Arbeitsplätze schaffen und damit einer der relevanten Motoren des wirtschaftlichen Erfolges Deutschlands sind. Gleichzeitig vergeht kaum ein Tag, an dem nicht breit über Werkseröffnungen oder -schließungen im Automotive-Bereich berichtet wird. Kein Tag, an dem die Medien nicht über Banken sprechen, Politiker Spatenstiche tätigen oder Bürgermeister Industriejubiläen begehen. Alles gut damit, das soll und darf so sein. Aber erinnern Sie sich, wann Sie zuletzt ähnliche Aufmerksamkeit für eine Kreativagentur, eine Filmproduktion oder ein Architektenbüro wahrgenommen haben? Von infrastrukturellen Unterstützungen, Subventionen oder bevorzugten steuerlichen Anreizen ganz abgesehen.
Paravicinis Beitrag lenkt den Blick auf diese Ungleichbehandlung. Aber er macht der ganzen Kreativbranche auch Mut, zeigt ihre Stärken auf und − er macht sie auch ein bisschen stolz. Empfehlung: Lesenswert.
Der Kommentar bezieht sich auf den Beitrag von Heinrich Paravicini, Präsident des Art Directors Club Deutschland, in WirtschaftsWoche „Wir Kreativen sind der wahre Mittelstand“ (.