Für die Menschen in Äthiopien ist Honig eine wichtige Einkommensquelle. Der Markt ist groß: Honig dient zum Süßen von Mahlzeiten und ergänzt den eher eintönigen Speiseplan der Kleinbauern um wertvolle Nährstoffe. Der größte Teil der heimischen Produktion wird zum Honigwein „Tej“− Äthiopiens Nationalgetränk − verarbeitet. Tatsächlich zählte Äthiopien mit 58.000 Tonnen[1] Honig pro Jahr zu den größten Honigproduzenten der Welt. Zum Vergleich: In Deutschland wurden im Jahr 2020 rund 29.200 Tonnen[2] Honig hergestellt.
In Äthiopien könnte der Ertrag und das damit verbundene Potenzial für die Bevölkerung, Einkommen mit Honig zu erwirtschaften, jedoch noch viel höher sein. Doch bleibt die Imkerei bis heute ein riskantes Geschäft. Bei den meisten der rund sieben Millionen Bienenstöcke[3] in Äthiopien handelt es sich nämlich um sogenannte „traditionelle Bienenstöcke“. Das bedeutet: Um Bienenvölker anzulocken, höhlen die Bienenzüchtenden Stücke von Baumstämmen aus, verschließen die Enden mit Lehm und hängen diese Konstruktionen in Bäumen auf. Nistet sich ein wildes Bienenvolk darin ein, warten die Imkerinnen und Imker bis der Honig produziert ist. Zur Ernte klettern sie ohne Sicherung hoch in den Baum – eine waghalsige Aktion, bei der immer wieder Personen abstürzen und sich verletzen. Eine weitere Gefahr stellen die Bienen selbst dar: Um an den Honig zu kommen, muss der Baumstamm zerstört werden. Nicht selten werden die Imkerinnen und Imker dabei völlig zerstochen.
Mensch und Biene profitieren von integrierten Entwicklungsmaßnahmen
Um die Honigproduktion sicherer und auch ertragreicher zu machen, führt die Stiftung Menschen für Menschen Imkerkurse in Äthiopien durch und bietet Kleinbäuerinnen und Kleinbauern modernere Bienenstöcke an. Über 18.500 Bienenstöcke konnte Menschen für Menschen bereits im Land verteilen. Während ein traditioneller Bienenstock rund 2,5 bis 5 Kilogramm Honig im Jahr einbringt, werfen die moderneren Kästen zwischen 25 und 35 Kilogramm Honig pro Ernte ab – und sind zudem wiederverwendbar. Darüber hinaus zeigen äthiopische Mitarbeitende der Stiftung den Imkerinnen und Imkern, wie sie die Honigernte effizient bewerkstelligen und welche Schutzkleidung sie dabei tragen sollten.
Doch nicht nur die Menschen vor Ort profitieren von den integrierten ländlichen Entwicklungsmaßnahmen, sondern auch die Bienen selbst. Großflächige Aufforstungsprojekte, bei denen verschiedene Baumarten gepflanzt werden, bringen nachweislich Biodiversität zurück in die Landstriche. Auch Bienen finden wieder eine Heimat. Auf diese Weise wird der Wald wiederum zu einem Vermögenswert für den Menschen. Die Bauern entwickeln ein Eigeninteresse daran, den Wald zu erhalten, um ihr Einkommen über die Imkerei zu sichern. Außerdem werden entlang von Feldterrassen oft Schmetterlingsblütler gepflanzt. Diese dienen zur Bodenstabilisierung, bewirken aber auch, dass Bienen in das Gebiet zurückkehren, Pflanzen bestäuben und Honig produzieren.
Einer der Bauern, der von der integrierten Projektarbeit von Menschen für Menschen profitiert, ist Yissa Amare aus dem Dorf Sese im Projektgebiet Borecha. Früher baute er nur Getreide an. „Ich konnte meine Familie gerade so ernähren“, erzählt er. „Seit ich zusätzlich Honig verkaufe, müssen meine Frau, meine vier Kinder und ich keine Angst mehr haben, dass die Ernte ausfällt und wir Hunger leiden müssen.“
[1] FAO Food and Agriculture Organization of the United Nations, 2018
[2] Statista 2022 (Erzeugung von Honig in Deutschland in den Jahren 2008 bis 2020)
[3] Statista, 2019, 2020 (Bienenstöcke: Länder mit der höchsten Anzahl bis 2020)