Demonstrationen in ganz Europa, Petitionen zur Rettung des Internets, Google droht mit der Abschaffung von Google News, Wikipedia wird aus Protest für 24 Stunden abgeschaltet − trotzdem hat Artikel 13 (im letzten Gesetzentwurf in Artikel 17 umbenannt) der neuen Urheberrechtsrichtlinie am 26. März 2019 die Mehrheit der Stimmen im EU-Parlament erhalten.
Das vorgeschlagene Gesetz zwingt Online-Plattformen, Rechteinhaber für deren geschützte Inhalte zu bezahlen und Nutzern zu verbieten, diese unrechtmäßig weiter zu verbreiten.
Verlage, einige Künstler, Autoren und andere Produzenten von Inhalten setzen sich für die künftige Gesetzgebung ein, da sie erkannt haben, dass das Internet als wichtigster Marktplatz für Inhalte die Quelle des Verwertungsproblems darstellt. Artikel 17 der Urheberrechtsrichtlinie schlägt vor, dieses Problem anzugehen, indem den Rechteinhabern die Möglichkeit eingeräumt wird, ihre Inhalte zu lizenzieren und für die Online-Verteilung ihrer Werke eine Vergütung zu erhalten. Institutionen wie die GEMA, die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte, tun dies bereits, indem sie diejenigen, die geschützte Inhalte auf Plattformen hochladen, auffordern, die Autoren zu entschädigen. YouTube hat darüber hinaus Vereinbarungen mit mehreren Unternehmen geschlossen, um Videos zu lizenzieren und zu bezahlen. Doch das System hatte Lücken.
Und hier kommt Artikel 17 ins Spiel: Er überträgt die Haftung auf Plattformunternehmen, die den Upload von urheberrechtlich geschützten Inhalten durch Unberechtigte überwachen und verhindern sollen. Urheber profitieren nicht nur finanziell von der neuen Gesetzgebung – sie verschafft ihnen auch mehr öffentliche Aufmerksamkeit, da die Internetnutzer, die nach einem bestimmten Thema suchen, nun umgehend an die ursprüngliche Quelle weitergeleitet werden.
Neben diesen nachvollziehbaren Argumenten gibt es auch Bedenken und deutliche Kritik. So befürchten die Gegner des bevorstehenden Gesetzes die Zensur des Internets und das Ende der Meinungsfreiheit. Der Grund: Für Internetplattformen ist es technisch schwierig bis unmöglich, die Unmengen von Inhalten, die minütlich von Nutzern hochgeladen werden, manuell zu überprüfen. Sie wären auf Content-ID-Systemen wie die vielzitierten Upload-Filter angewiesen. Solche automatischen Filtertechnologien sind – nach aktuellem technischen Standard – jedoch nicht in der Lage, Kritik, Rezensionen, Karikaturen, Parodien und künstlerische Nachahmungen zu erkennen, deren Aufmachung auf den ersten Blick sehr nah an bekannten, urheberrechtliche geschützten Werken ist.
Als Alternative – und hier fußen die meisten Befürchtungen − würden Online-Plattformen letztendlich dazu gezwungen, auch derlei rechtmäßig genutzte Inhalte automatisch zu blockieren, um Schwierigkeiten zu vermeiden. Oder sie müssten sämtliche Lizenzen für alle erdenklichen Formate erwerben, die die Nutzer hochladen könnten, was laut der ehemaligen deutschen Europaabgeordneten für die Piratenpartei Julia Reda eine „unmögliche Leistung“ wäre.
Ein weiterer wichtiger Aspekt sind die hohen Kosten für die Implementierung der angesprochenen Content-ID-Systeme. Diese Kosten sind für Plattformriesen wie YouTube und Facebook vielleicht zu verschmerzen, aber für ihre kleineren Wettbewerber, darunter europäische Start-ups und Mittelständler, stellen sie eine unüberwindbare Barriere dar. Damit würde die Monopolstellung der Internetgiganten noch verstärkt.
Die Folgen des Gesetzes für die moderne Kommunikation in Europa sind kaum absehbar. Das online-Teilen von Memes, Fotos oder GIFs, die mit Text verziert sind und ein popkulturelles Phänomen oder ein gesellschaftliches Konzept parodieren, online zu teilen wird nun einer willkürlichen Zensur unterworfen. Memes bekannter urheberrechtlich geschützter Werke werden wahrscheinlich nie wieder online veröffentlicht werden, da die aktuellen Content-ID-Technologien nicht weit genug entwickelt sind, um zwischen Memes und tatsächlich urheberrechtlich geschütztem Material zu unterscheiden. Julia Reda prognostiziert auch, dass die Plattformunternehmen europäischen Nutzern begrenzte Inhalte anbieten und sogar beschließen könnten, ihre Dienste in Europa ganz einzustellen, effektiv also Geoblocking zu betreiben.
Neben diesen grundsätzlichen Themen wirft die Richtlinie auch für uns als Agentur Probleme auf: So wird beispielsweise das tägliche Monitoring von Medienberichten zu einer Qual werden, wenn wir auf immer mehr Inhalte keinen Zugriff mehr haben. Die Ergebnisse unserer Kampagnen zu messen wird damit faktisch unmöglich. Zudem können wir ohne ungehinderten Zugang nicht mehr rechtzeitig auf unwahre oder kritische Berichterstattung reagieren. Hier wird es also vollkommen neue Modelle für den Medienkonsum geben müssen.
Ein weiterer Aspekt, der von den Reformen betroffen sein könnte, sind Influencer Relations. Influencer werden Schwierigkeiten haben, ihre Kanäle am Leben zu erhalten. Upload-Filter könnten beispielsweise die Relevanz klassischer YouTube-Influencer drastisch verändern und deren Geschäftsmodelle gefährden. Damit fiele für uns als PR-Profis ein inzwischen äußerst wertvoller Kanal weg.
Am 9. April 2019 werden die EU-Mitgliedstaaten darüber abstimmen, ob sie mit der Gesetzgebung wie geplant fortfahren wollen. Es ist immer noch möglich, dass die Richtlinie durch den EU-Rat gekippt wird, aber das würde voraussetzen, dass mindestens ein wichtiges Land seine Meinung dazu ändert. Sollte die Richtlinie angenommen werden, haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, um sie in nationales Recht umzusetzen. Bis dahin wird die Diskussion darüber, wie Plattformunternehmen mit den Verlagen zusammenarbeiten werden, sicherlich spannend bleiben.
Autorin: Mai Akkad