Eine durchgängig vernetzte Logistik vom Wareneingang bis zum Versand ist der Idealzustand – doch in der Praxis nicht immer über einen „Big Bang“ zu erreichen. Wie sich Lager-Workflows durch die richtigen Schnittstellen und Digitalisierung mit Fingerspitzengefühl dennoch spürbar verbessern lassen, zeigt sich am Beispiel der Implementierung von Aimtec DCIx inklusive Warehouse Management System (WMS) bei GEALAN Formteile.
GEALAN Formteile ist ein führender Hersteller von hochwertigen Kunststoffformteilen für Automobil- und Industrieanwendungen, dessen Entwicklungsergebnisse und Produkte sich weltweit in zahlreichen Premiumfahrzeugen sowie in der Heizungs- und Warmwasserbranche wiederfinden. Als Familienunternehmen mit über 100 Jahren Erfahrung fertigt GEALAN mit rund 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern technische Spritzgussteile und Baugruppen an insgesamt sieben Standorten in drei europäischen Ländern.
2024 entschied sich GEALAN, die Lagerung seiner Fertigprodukte in-house abzubilden, um Synergieeffekte beim Transport besser auszuschöpfen – auch im Sinne der CO2-Reduktion. Die oberfränkischen GEALAN-Standorte in Oberkotzau und Hof sollten über ein neues Zentrallager versorgt werden. Gerade mal einen Kilometer vom GEALAN-Hauptsitz in Oberkotzau entfernt war der passende Standort gefunden und im Juni 2024 bezogen: eine Logistikimmobilie im Bestand mit mehreren Lagerhallen mit insgesamt 8.000 qm Lagerfläche, davon 3.500 neugeschaffene Palettenstellplätze.
Vom Medienbruch zur 360°-Lagertransparenz
„Schnell war klar: Die Blocklagerhaltung und Stellplatzverwaltung können wir nicht mehr nur über unser ERP-System abbilden – wir brauchen ein WMS, das mit uns mitwachsen kann“, erinnert sich Johannes F. Kühne, Leiter Supply Chain Management, bei GEALAN Formteile, an die „Initialzündung“ für das Digitalisierungsprojekt mit Aimtec.
Wie in der Gastronomie gilt auch bei GEALAN im Lager das FIFO-Prinzip („First in, first out“). Damit „ältere“ Bestände das Lager priorisiert verlassen, ist eine lückenlose Transparenz über das Lager, insbesondere in der neuen Palettenregalanlage, aufgrund der chaotischen Lagerhaltung, zwingend durchgängig erforderlich. Dem entgegen stand eine heterogene IT-Landschaft. Zusätzlich ist die Transformation der bestehenden VDA-Abwicklung auf den neuen Scannern auf eine neue IT-Architektur erforderlich. Dank der durchgängigen Digitalisierungsplattform Aimtec DCIx ist die Verwendung des vorhandenen VDA-Checks jetzt in einem System anwendbar.
Diese Lagerprozesse sollten im neuen WMS konsolidiert werden, um die Lagerplatzverwaltung auf Packstückebene und die Auffindbarkeit der Waren zu gewährleisten. Außerdem waren die im Warenein- und -ausgang eingesetzten Scanner nicht mit dem bestehenden WMS kompatibel – auch diese Scanner-Prozesse galt es, ans neue System anzubinden.
Eine weitere Herausforderung bestand darin, die im GEALAN ERP-System für den „internen“ Gebrauch generierten Labels mit den VDA-Standardetiketten für den Kundenversand zu verknüpfen, also die lückenlose Zuordnung der Paletten in beiden Systemen sicherzustellen.
Besonderheiten der Implementierung
Ein „Big Bang“, also eine Komplettumstellung auf ein neues WMS „über Nacht“, kam nicht in Frage, da mehrere GEALAN-Standorte sich einen ERP-Mandanten teilten. Um ein Datenchaos zu verhindern, musste eindeutig definiert werden, welche Applikation die alleinige Hoheit über die Vergabe der Handling Units (eindeutiger Palettennummern) hatte. „Deshalb haben wir das WMS-System einfach dazwischen gepackt und die Datenhoheit im ERP-System belassen“, berichtet Johannes F. Kühne.
Im Zuge dieses Transformationsprojekts wurde die gesamte Steuerung des Zentrallagers inklusive Stellplatzverwaltung mithilfe des WMS-Moduls der Orchestrierungsplattform Aimtec DCIx abgebildet. Damit konnte das GEALAN-Projektteam aus SCM und IT die Implementierung federführend stemmen, mit Unterstützung von Aimtec beim Projektmanagement sowie bei technischen Fragen.
Die Nummernvergabe im Wareneingang oder bei Versorgungen aus der Produktion erfolgt im ERP mit sofortigem 1:1-Austausch aller weiteren Bewegungen zwischen dem WMS- und dem ERP-System über eine von den GEALAN IT-Experten programmierte API-Schnittstelle. Die 5G-Scanner von Zebra wurden via Mobilfunk mit der Aimtec DCIx-Cloud vernetzt – dies haben die Experten von Aimtec übernommen. Die 5G-Scanner boten sich an, weil der Standort Oberkotzau über die notwendige Netzabdeckung verfügt. Hingegen wäre es unwirtschaftlicher gewesen in der Logistikimmobilie, eine entsprechende WiFi-Infrastruktur ad hoc aufzusetzen. Deshalb hat Aimtec GEALAN ein neues Produkt von Zebra empfohlen: 5G-fähige Scanner.
Zunächst hatten die Aimtec-Experten die Bestandsprozesse und Arbeitsroutinen bei GEALAN Formteile eingehend im Frühsommer 2024 analysiert. Auf dieser Basis wurden Zielprozesse definiert und modelliert. Nachdem diese Prozesse das 90-Prozent-Stadium erreicht hatten, ging es ans Prototyping. Bereits im August 2024 stand der Prototyp. So blieb dem Projektteam bei GEALAN bis zum geplanten Go-Live im Oktober 2024 reichlich Zeit, das neu vernetzte System auf Herz und Nieren zu prüfen. Der Go-Live erfolgte dann in zwei Phasen: Im Oktober ging das WMS an den Start, einen Monat später war das Modul für den VDA-Check online.
Alle Lagerfunktionen in einem System
Sobald die Qualitätsprüfung während des Wareneingangsprozesses im ERP abgeschlossen war, erfolgt automatisiert über die API-Schnittstelle die Freigabe der bereits eingelagerten Bestände im WMS. Ab diesem Zeitpunkt kann das WMS die freigegebenen Paletten für Auslagerungen vorschlagen. Diese Freigabe ist notwendig, damit keine ungeprüfte Materialcharge in die Produktion gelangt.
Fertigware aus der Produktion wird per Werks-LKW von den GEALAN Werken in das neue GEALAN Zentrallager umgelagert. Das WMS schlägt unter den verfügbaren Stellplätzen den optimalen Lagerort für eingegangene Ware in Abhängigkeit von den Abmessungen und dem Gewicht vor – so kommen beispielsweise für besonders schwere Lieferungen nur die untersten Stellplätze in Frage. „Jetzt ist im WMS genau ersichtlich, wie viele Stück einer bestimmten Ware an welchen Lagerstellplätzen in welcher Palettenkonstellation vorrätig sind“, berichtet Miroslav Havlicek, der als Projektmanager das Projekt bei GEALAN für Aimtec betreut hatte.
Ebenfalls im Zentrallager werden die Kundenbestellungen versandfertig gemacht. Dazu wählt der Logistikmitarbeiter den digitalen Bestellschein direkt auf dem Scanner aus. Der tragbare Zebra-Scanner leitet ihn dann zum richtigen Lagerplatz. Für die fertig zusammengestellte Produktpalette generiert das ERP-System ein VDA-konformes Versandetikett. Die darin enthaltenen standardisierten Informationen erhält der Kunde auch als ASN in Form einer EDI-Nachricht. Dies erleichtert wiederum seinen Wareneingang. Der Warenausgang wird mit dem neuprogrammierten Verladescan inkl. Erfassung des LKW-Kennzeichens direkt auf dem Scanner papierlos abgeschlossen.
„Die Einführung des WMS-Systems verlief dank professioneller Projektabwicklung, der befähigenden Projektarbeit und enger Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit Aimtec, reibungslos. Anpassungen – etwa bei Scanner-Screens oder Transaktionen – konnten in Echtzeit umgesetzt werden. Besonders im Go-Live waren die Ansprechpartner bei Aimtec jederzeit erreichbar. Heute profitieren wir von einem flexiblen System und der Fähigkeit, viele Themen eigenständig zu lösen,“ fasst Anne Büttner SCM-Teamleiterin für Logistikplanung das Projekt zusammen.
Die Konsolidierung der bisherigen vier Lagerstandorte und das Insourcing der Fertigwarendistribution vom externen Logistikdienstleister in das neue GEALAN Zentrallager führte nahezu zur Halbierung der Transportkosten im Werksverkehr. Dank Aimtec DCIx stieg die Effizienz der Logistikmitarbeiter:innen um mehr als 75 Prozent, da Fahrten zwischen den Standorten wegfielen und bisher geführte Logistikprozesse massiv verschlankt, dynamisiert und gezielt papierlos entwickelt worden sind.
Basis für durchgängige Digitalisierung geschaffen
Wenn auch alle anderen Standorte von GEALAN das WMS nach dem Oberkotzauer Vorbild implementiert haben, ist es denkbar, im nächsten Schritt alle Lieferanten digital anzuschließen. Geplant ist dann, mit dem EDI-Modul von Aimtec die Aufnahme der ASN-Informationen wareneingangsseitig zu verarbeiten.
Dieses im Dezember 2024 abgeschlossene Projekt dient als Schablone für weitere GEALAN-Standorte, beispielsweise in Ungarn. „Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir die Anforderungen des Werks in Ungarn mit dem Template, das wir in Oberkotzau erprobt haben, zu 95 Prozent erfüllen können“, betont Johannes F. Kühne. Und nicht zuletzt soll die Produktionsplanung vollständig digitalisiert und automatisiert werden.