Es ist eine klassische Zwickmühle: Automobilhersteller müssen den CO₂-Ausstoß ihrer Flotten in den Griff bekommen, sonst drohen empfindliche Strafgelder aus Brüssel. Gleichzeitig schwebt das Damoklesschwert des Verbrenner-Aus über ihnen. Die scheinbar einfachste Lösung ist die Elektromobilität, doch sie will sich nicht so recht durchsetzen und Hersteller bleiben auf den Fahrzeugen sitzen.
Dabei werden die Reichweiten von E-Autos werden immer besser, die Batteriechemien entwickeln sich kontinuierlich weiter und kommen mit weniger seltenen Erden aus. Dass ein Elektrofahrzeug dem Verbrenner in Sachen CO₂-Bilanz auf lange Sicht davonfährt, ist eine Erkenntnis, die sich erst langsam durchsetzt.
Alles in allem machen die Deutschen im Autohaus einen immer größeren Bogen um E-Fahrzeuge: Von Januar bis August 2024 wurden in Deutschland laut Kraftfahrbundesamt 241.911 rein batteriebetriebene Pkw neu zugelassen. Das sind 32 Prozent weniger als im gleichen Zeitraum im Vorjahr. Ihr Anteil an den Neuzulassungen betrug 12,7 Prozent. Zu den vielen Vorurteilen gegen die Elektromobilität gehört auch die vermeintlich schlechte Infrastruktur für Elektrofahrzeuge. Aber ist die Ladeinfrastruktur wirklich so schlecht, wie Kritiker behaupten? Ein Faktencheck.
Status der Ladeinfrastruktur
HERE Technologies und das Analystenhaus SBD Automotive haben in einem Index zusammengefasst, wie es um die Ladeinfrastruktur in Deutschland und Europa bestellt ist. 2023 wurde der Index erstmals veröffentlicht, dieses Jahr gibt es eine Aktualisierung. Die positive Nachricht: Der Index 2024 zeigt, dass die öffentliche Ladeinfrastruktur in den 27 EU-Mitgliedsstaaten, Norwegen, der Schweiz und Großbritannien seit dem Index von 2023 um 115 Prozent gestiegen ist.
Folgende Kriterien haben HERE und SBD untersucht:
- Anzahl der Ladesäulen in Bezug auf die Länge des Straßennetzes: Wie lange müssen Fahrer:innen fahren, um eine freie Säule zu entdecken?
- Kapazität der Ladesäulen: Wie lange dauert der Ladevorgang?
- Flottenanteil der E-Fahrzeuge: Wie viele Elektrofahrzeuge sind im Vergleich zu Verbrennern auf den Straßen unterwegs?
- Verhältnis von zugelassenen Elektrofahrzeugen zu öffentlichen Ladestationen: Wie wahrscheinlich ist es, eine freie Ladesäule zu finden?
Der Index bildet diese Kriterien in einem Punktesystem ab. So entsteht ein Ranking der europäischen Länder in Bezug auf ihren Reifegrad in der Elektromobilität. Der Gewinner 2024 ist Dänemark. Unser nördlicher Nachbar hat damit einen ordentlichen Sprung von Platz sechs an die Tabellenspitze gemacht und Norwegen auf den zweiten Platz gedrängt. In dem Index bekommt Dänemark 76,67 Punkte, Norwegen erhält 73,34. Hinter Luxemburg und den Niederlanden kommt Deutschland mit 68,33 Punkten auf Platz fünf.
Nach den einzelnen Kriterien aufgeschlüsselt erhält Deutschland in dem Index die meisten Punkte für die Ladesäulen im Straßennetz und die Kapazität der Ladesäulen (je 20,83 Punkte), 19,17 beim Flottenanteil von E-Fahrzeugen und 7,5 Punkte beim Verhältnis von zugelassenen E-Fahrzeugen zu öffentlichen Ladestationen.
Interessant ist der Vergleich der einzelnen Kategorien. Beim Verhältnis von zugelassenen Elektrofahrzeugen zu öffentlichen Ladestationen ist Deutschland im unteren Drittel auf Platz von 21 von 30. In der Kategorie Kapazität und bei der Erreichbarkeit von Ladesäulen belegt es jedoch jeweils den sechsten Platz
Wie viele Säulen braucht das Land?
In Deutschland gibt es derzeit ungefähr 1,5 Millionen batterieelektrische Fahrzeuge (BEVs). Damit beträgt ihr Anteil 2,76 Prozent aller Fahrzeuge. Laut SBD und HERE kommen idealerweise zwischen zehn und zwanzig Fahrzeuge auf eine Ladesäule. In Deutschland sind es acht Fahrzeuge pro Ladesäule, wir hinken also leicht hinterher. Der Wert lag 2023 noch bei 9,3. Ein niedrigerer Wert in diesem Verhältnis deutet darauf hin, dass es im Vergleich zur Anzahl der Elektrofahrzeuge mehr Ladesäulen gibt. Hinzu kommen private Ladestationen, zum Beispiel auf Werksgeländen oder in privaten Garagen. Die Verfügbarkeit von Ladeinfrastruktur ist insgesamt sogar höher, als der Index angibt. Dies ist ein positives Zeichen, auch wenn weiterhin Verbesserungsbedarf besteht.
Das gilt noch viel mehr für die Zahl der Elektrofahrzeuge im Straßenverkehr. Neben den bekannten Vorbehalten hat das Ausbleiben staatlicher Förderung zum Einbruch an Verkäufen von E-Fahrzeugen beigetragen.
Die Zwickmühle der Autobauer wird sich nicht allein durch einen weiteren Ausbau der Ladeinfrastruktur auflösen. Die Infrastruktur ist dennoch ein Lichtblick. Ob Kaufprämien alleine für eine Trendwende sorgen können, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Jedoch fällt auf, dass die Länder, die im Index vor Deutschland liegen, die Elektromobilität deutlich stärker mit öffentlichen Mitteln fördern.