Ob die Golden Gate Bridge in San Francisco, die Tower Bridge in London oder die Karlsbrücke in Prag: Brücken sind nicht nur wichtige Verkehrswege, sondern auch Symbole und Wahrzeichen. Eines sind allerdings auch moderne Brücken bis heute oft nicht: digital. Dabei bietet die Digitalisierung zahlreiche Vorteile entlang des gesamten Lebenszyklus einer Brücke – von der Planung bis zur Sanierung oder zum Rückbau. Bereits gebaute Brücken können durch eine nachträgliche Digitalisierung und die Nutzung digitaler Tools im laufenden Betrieb deutlich effizienter betrieben und gewartet werden.
Brücken sind schon seit Jahrhunderten ein wichtiger Teil der Baukultur. Sie waren immer eine Leistungsschau der Ingenieurskunst und sind zunehmend auch den Forderungen nach mehr Nachhaltigkeit, sei es durch optimierten Materialeinsatz, oder die Verwendung nachwachsender Rohstoffe, unterworfen. Übergeordnetes Ziel von Brückenbauwerken bleibt allerdings die Transportlogistik zu verbessern. Von den ersten Brücken in der Jungsteinzeit bis heute bilden sie das Fundament jeder modernen Verkehrsinfrastruktur. Die Leistungsfähigkeit des Bundesfernstraßennetzes in Deutschland beispielsweise basiert auf 39.500 Brücken, mit einer Gesamtlänge von über 2.000 Kilometern.
Nicht umsonst gelten Planung und Bau weitspannender Brücken als Königsdisziplin im Ingenieurswesen: Große, tonnenschwere Bauteile müssen fristgerecht gefertigt, geliefert und genau in die bestehende Infrastruktur eingepasst werden. Damit auf der Baustelle trotz aller Eventualitäten nichts schief geht, müssen die unterschiedlichsten Stakeholder an einem Strang ziehen: Fachkräfte aus der Konstruktion und Tragwerksplanung, aber auch Bauunternehmen und Behörden.
Silos – Zeitfresser und Fehlerquelle
In der Praxis erfolgt die Planung von Brücken allerdings bis heute alles andere als kollaborativ und digital. Planungsdaten stammen häufig von verschiedenen Beteiligten aus unterschiedlichen Datenquellen und kommen in unterschiedlichen Formaten, sodass die einzelnen Brückenmodelle (geometrische, statische, konstruktive sowie ggf. detaillierte Modelle für die Spannkabel) nicht exakt übereinstimmen. Mit traditionellen 2D-Werkzeugen müssen Planungsänderungen zudem in Hunderten von Zeichnungen und Berechnungen immer wieder händisch nachgepflegt werden. Dadurch kommt es zu Planungsfehlern und Inkonsistenzen, die auf den Baustellen zu Verzögerungen und Kostenüberschreitungen führen.
Durch die mangelnde Kollaboration verbringen Planungsteams wertvolle Zeit damit, Fehler nachzuarbeiten und zu korrigieren – Zeit, die sie neuen Projekten widmen könnten, würde die Kollaboration reibungslos funktionieren. Außerdem kann es durch inkonsistente Planungsdaten zu Verzögerungen bei der Errichtung einer Brücke kommen – was wiederum Zeit und Geld kostet. Und zu guter Letzt werden durch Nach- und Umbauarbeiten wertvolle Baumaterialien verschwendet und unnötig viel CO2 ausgestoßen.
Deutlich effizienter und weniger fehleranfällig gestaltet sich die Planung mit kollaborativen digitalen Tools. Planänderungen können in 3D-Modellen eingearbeitet werden, auf die alle am Projekt beteiligten Zugriff haben. So entstehen Workflows statt Silos. Digitale Tools haben sich im Praxiseinsatz in verschiedenen Projektphasen bewährt – vom Neubau bis zur Bestandserfassung.
Neubau der Queensferry Crossing
Die Queensferry Crossing in der Nähe von Edinburgh in Schottland ist eine Schrägseilbrücke mit drei über 200 Meter hohen Pylonen – und eines der größten Infrastrukturprojekte in Europa. Die neue Brücke Queensferry Crossing dient mit zwei Fahrstreifen und einem zusätzlichen Standstreifen pro Richtung ausschließlich dem Straßenverkehr.
Der Entwurf und die Gestaltung der Queensferry Crossing war dabei eine echte Herausforderung für die Planer*innen. Die Vorgabe der Bauleute war ambitioniert: Die Brücke sollte ein Pendant zum Weltkulturerbe der Forth Bridge werden. Das Ergebnis des Entwurfsprozesses war eine 2.094,5 Meter lange Schrägseilbrücke mit drei Pylonen im Wasser. Zwischen ihren bis zu 210 Meter hohen Stahlbetontürmen erstreckt sich jeweils eine Haupttragweite von 650 Metern. Dieses Maß resultiert aus der Breite der darunterliegenden Schifffahrtskanäle.
Als konstruktiv besonders anspruchsvoll erwies sich der mittlere der drei Pylonen. Bei klassischen Schrägseilbrücken wird der mittige Pylon über am Rand liegende steife Seitenfelder rückverankert. Diese Vorgehensweise ist jedoch bei einer Drei-Pylonen-Brücke aufgrund sehr hoher Biegemomente nicht möglich. Zusätzlich zu dieser Einschränkung sollte die Brücke im Kontext zu den zwei bereits bestehenden Bauwerken nicht übermäßig dominant auftreten.
Diese planerische und statische Herausforderung meisterten die Planer*innen durch den Einsatz digitaler Tools. So entstand mithilfe der OPEN-BIM-Softwarelösung Allplan Engineering eine vollständige 3D-Bewehrungsplanung, die dezentral bearbeitet werden konnte. Dank der passgenauen und kollisionsfreien Planung konnten Termine und Kosten eingehalten werden. Insbesondere bei Infrastrukturprojekten ist beides keine Selbstverständlichkeit.
Digitalisierung im Bestand
Aber nicht nur bei der Neuplanung von Brücken sind digitale Tools wertvolle Helfer, auch im Bestand bergen sie großen Nutzen. Ein Beispiel ist die 1974 erbaute Köhlbrandbrücke in Hamburg. Sie ist die zweitlängste Straßenbrücke Deutschlands und eine der am stärksten befahrenen. Die Schrägseilbrücke spielt damit eine wichtige Rolle für die lokale Wirtschaft am Hamburger Hafen. Die Betreiber der Brücke, die Hamburg Port Authority, suchten nach einer Möglichkeit, sie effektiver zu warten und zu betreiben. Daraufhin wurde 2019 das Projekt smartBRIDGE Hamburg initiiert. Mit Hilfe von OPEN BIM, ICF-Datenaustauschformaten und dem BIM Collaboration Format (BCF) wurde ein digitaler Zwilling der Brücke erstellt.
Aufgrund des Alters der Brücke und des täglichen Verkehrsaufkommens war eine kontinuierliche Überwachung in Echtzeit der beste Weg, um jene Mängel frühzeitig zu erkennen, die die Sicherheit und den Betrieb der Brücke beeinträchtigen könnten. So können auch notwendige Reparaturen frühzeitig geplant und die Behinderung des Verkehrs minimiert werden.
Allerdings existierte aufgrund des Alters der Brücke kein BIM-Modell. Dieses musste von Grund auf neu entworfen werden. Hierfür wurden mehrere BIM-Anwendungen eingesetzt, mit denen ein sehr detailliertes Brückenmodell erstellt wurde. Die gesamte Brückenkonstruktion sowie ihre einzelnen Komponenten konnten in diesem Modell dann erstmalig visualisiert werden.
Mit dieser Datenbasis für ihren digitalen Zwilling konnten die Betreiber IoT-(Internet-of-Things)-Sensordaten und traditionell gesammelte Brückeninspektions- und Wartungsdaten in ihr Brückenmodell integrieren. Dies ermöglicht eine Echtzeitüberwachung und gibt automatisch Warnungen aus, wenn Probleme oder Mängel erkannt werden. Die Datensätze wurden dann dem Asset-Management-System zur Verfügung gestellt, sodass die vorausschauende Wartung besser geplant und durchgeführt werden kann.
Neben der kontinuierlichen Überwachung der Brückenkonstruktion ermöglicht der digitale Zwilling auch die Durchführung verschiedener Simulationen. Auf diese Weise kann der Betreiber verschiedene Szenarien testen, wenn ein Problem erkannt wurde, und die Ergebnisse vor der Umsetzung verschiedener Maßnahmen bewerten. Für ein so wichtiges Infrastrukturbauwerk wie die Köhlbrandbrücke sind diese Erkenntnisse von entscheidender Bedeutung, um die Sicherheit zu gewährleisten und Unterbrechungen des Verkehrsbetriebs auf ein Minimum zu reduzieren.
Workflows statt Silos entlang des Lebenszyklus
Diese beiden Beispiele zeigen eindrücklich, welche Rolle digitale Tools beim Brückenbau spielen. Sie vereinfachen die Planung, helfen, Kosten und Emissionen zu reduzieren und tragen dazu bei, Brücken nachhaltig und effizient zu betreiben. Dabei ist das Stadium des Brückenlebenszyklus unerheblich: Von der Planung bis zum Rückbau bieten Tools wie der digitale Zwilling erhebliche Vorteile für alle Beteiligten. Wichtig ist, dass auf offene Formate wie OPEN BIM gesetzt wird. Nur so ist ein reibungsloser Austausch zwischen allen Gewerken sichergestellt und es entstehen keine Datensilos.