Kleine Ursache, große Wirkung — so lassen sich viele Zwischenfälle in der Supply-Chain-Welt zusammenfassen, wie etwa bei der Ever Given, die im März 2023 den Suezkanal, das Nadelöhr der Weltwirtschaft, blockierte. Schiffe konnten nicht mehr über das Rote Meer ins Mittelmeer gelangen und mussten kurzfristig um Südafrika fahren.
Als im März 2024 ein Frachtschiff mit einem Brückenpfeiler am Eingang des Hafens der amerikanischen Stadt Baltimore kollidierte und die Brücke zum Einsturz brachte, dauerte es zwei Monate, bis der Hafen wieder öffnen konnte. Zwei Monate lang konnte keine Ware aus Baltimore über den Seeweg abtransportiert werden. Sie blieb liegen oder musste mit Lkw in andere Häfen gebracht werden. Baltimore ist einer der größten und wichtigsten Häfen in den USA.
Fiktives Szenario: Blockade des Hamburger Hafens
So etwas ist auch in Deutschland möglich. Es kann jederzeit ein Ereignis eintreten, dass große Seehäfen wie Hamburg von der maritimen Außenwelt abgeschnitten werden. Dafür kann es zahlreiche Ursachen geben, zum Beispiel, dass die Elbe nicht mehr befahrbar ist, weil ein Schiff auf Grund gelaufen ist. Auch wenn es sich hierbei um reine Spekulation handelt, ist der Ausfall eines wichtigen Hafens ein Szenario, das Supply Chain Planer grundsätzlich auf dem Schirm haben müssen.
Bleiben wir bei unserem fiktiven Szenario eines gesperrten Hamburger Hafens. Was würde passieren, wenn ihn Schiffe weder ansteuern noch verlassen könnten?
Zunächst gibt es Stau. Schiffe stauen sich auf der Nordsee, weil sie nicht einlaufen können. Gleichzeitig wird die ohnehin staugeplagte Stadt Hamburg noch mehr im Verkehr ersticken, denn Lkw, die den Schiffen Ladung bringen, werden den Hafen nicht anfahren können. Außerdem wird ein nicht abreißender Lkw-Strom vom Hafen einsetzen.
Oberhalb der Kapazitätsgrenze
Der Grund: die Ware, die von Hamburg verschifft werden soll, muss in einen anderen Hafen transportiert werden. Dies wird den Verkehr in weiten Teilen Norddeutschlands beeinträchtigen. Weitere Seehäfen in Reichweite von Hamburg, wie Bremerhaven, Kiel, Cuxhaven, Travemünde, oder Rostock sind jedoch deutlich kleiner. Sie werden dann von Schiffen angesteuert, die in Hamburg nicht einlaufen können. Dem dann einsetzenden Ansturm werden sie kaum gewachsen sein.
Der nächste Engpass liegt bei den Schiffs- und Container-Kapazitäten: Aktuell gibt es keine freien Kapazitäten. Schiffe wie Container sind gleichermaßen ausgebucht. Dies wird sich verschärfen, wenn Schiffe in und vor dem Hamburger Hafen festsitzen. Gleichzeitig wird das Umverteilen der Schiffe, die vor Hamburg liegen, Zeit in Anspruch nehmen und ihre Ladung wird in Häfen auftauchen, wo sie nie hingesollt hätte. Zudem müssen Lkw-Kapazitäten organisiert werden, um die Ladung der Schiffe aus den anderen Häfen abzuholen.
Transparenz erlangen
Versender und Verlader haben dann viele Fragen zu beantworten: Wo befindet sich die Ladung, wann kommt sie wo an, welche Zusatzkosten entstehen, woher nehmen wir die zusätzlich benötigten Lkw?
Mit anderen Worten, am wichtigsten ist in solch einer Situation Transparenz. Wer als erster weiß, wo sich welche Container befinden und wann sie an welchem Zielort sein sollen, hat einen Vorteil und kann besser planen.
Diese Transparenz erlangen Unternehmen, indem sie im ersten Schritt alle notwendigen Transport- und Logistikdaten an einem zentralen Ort zusammenführen. Die Fahrpläne der Reeder werden in so einem Fall nicht helfen, sie werden Schwierigkeiten haben, aktuelle Pläne herauszugeben.
Neben dem Standort der Schiffe und Container, zählen auch deren ETAs sowie die wahrscheinlichsten Alternativrouten, die sie jetzt nehmen werden, zu den notwendigen Daten. Neue Preise und wie diese zustande kommen, zählen genauso dazu. Diese Informationen bilden die Basis für neue ETAs. Sie helfen auch, Entscheidungen zu treffen, wie mit der Ware weiterfahren werden soll und wie diese am besten weitertransportiert wird.
Mit KI und Automatisierung zur schnellen Entscheidung
Hier zeigt sich die Bedeutung einer Real-Time-Transportation-Visibility-Plattform. Sie sammelt und aggregiert Daten und macht sie für Anwendungen wie einen Supply Chain Control Tower verfügbar. Die Plattform von Shippeo hilft in Supply-Chain-Krisen, den Überblick zu behalten und nutzt qualitativ hochwertige, aktuelle wie historische Daten, um mit KI und Machine Learning verlässliche ETAs zu prognostizieren. Darüber hinaus bildet sie die Basis von Automatisierungstechnologien wie Transportation Process Automation (TPA). Diese nutzt Daten, um Entscheidungen zu beschleunigen und Prozesse zu automatisieren.
Wenn nun tatsächlich das Szenario eintreten sollte, dass der Hamburger Hafen ausfällt, nutzen Unternehmen die Insights, die TPA aus jenen Daten liefert, um schnell zu entscheiden, wann welcher Lkw losfahren muss, um möglichst früh Waren abzuholen und an einen anderen Hafen zu bringen oder um Schiffe schnell zu einem anderen Seehafen zu führen, der die zusätzlichen Schiffe in einer akzeptablen Zeit abfertigt. Auch wenn Zusatzkosten für Detention & Demurrage oder Verzögerungen durch ungeplante Transshipments auftreten, lassen sich diese mit TPA steuern, mögliche Konsequenzen daraus ableiten und die nächsten Schritte planen. Im Idealfall werden diese sogar automatisiert ausgeführt.
Wir haben auf die harte Weise lernen müssen, wie ein singuläres und lokales Ereignis Schockwellen auslösen kann, die sich auf die Transportwege des globalen Handels auswirken. Diese Ereignisse sind nicht vorhersehbar und können immer überall eintreten. Wer hätte gedacht, dass eine Brücke am Hafen von Baltimore einstürzt und den Hafen für zwei Monate stilllegt? Supply-Chain-Verantwortliche müssen immer wieder mit Unwägbarkeiten rechnen und Szenarien durchspielen, um handlungsfähig zu bleiben. Der Ausfall eines großen Seehafens ist ein solches Szenario. Sollte derartiges eintreten, sind diejenigen, die im Voraus geplant und dank aktueller Daten schnell über Transparenz über den Verbleib ihrer Ladungen verfügen, die klaren Gewinner – denn derer nächste Zwischenfall kommt bestimmt.